Definition | Anwendungsfelder | Beispielfragestellungen | Literatur
Eine Inhaltsanalyse ist eine empirische, also eine auf Erfahrungen basierende Methode, bei der Fragestellungen aus verschiedenen Forschungsgebieten der Kommunikationswissenschaft beantwortet werden, indem Medieninhalte analysiert werden. Das grundsätzliche Dilemma empirischer Forschung ist dabei, dass die Wirklichkeit immer anders wahrgenommen wird. Zwei Menschen, die sich am selben Ort befinden, werden die Realität immer ein Stück anders erfahren. Nach der Definition von Werner Früh, einem deutschen Kommunikations- und Medienwissenschaftler, muss das Vorgehen im Rahmen einer Inhaltsanalyse jedoch, wie bei jeder anderen Methode auch, immer intersubjektiv nachvollziehbar sein. Das bedeutet, dass das Ergebnis der quantitativen Inhaltsanalyse möglichst unabhängig von subjektiven Einflüssen und für jeden verständlich sein muss. Um diese Objektivität zu erreichen, geht man bei der Inhaltsanalyse nicht nur systematisch, sondern auch standardisiert vor, indem man mit Hilfe eines Codebuchs (siehe Tabelle) allgemeingültige Untersuchungsmerkmale festlegt.
„Die Inhaltsanalyse ist eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen.” (Früh 1998: 29)
Es gibt verschiedene Arten von Inhaltsanalysen. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse erforscht man eine geringe Anzahl an Texten, dafür aber wesentlich detaillierter mit dem Ziel zu verstehen und so neue theoretische Überlegungen zu entwickeln.
Die quantitative Inhaltsanalyse hingegen möchte beschreiben und erklären. Sie zielt darauf ab, eine begrenzte Anzahl an Merkmalen auf möglichst viele Fälle anzuwenden. Bei der quantitativen Inhaltsanalyse fließen also nur die Merkmale in die Untersuchung ein, die relevant sind für die Beantwortung der Forschungsfrage. Unter Messung versteht man in diesem Zusammenhang die Analyse von Text-, Audio- oder Bewegtbildinhalten entlang einer zuvor erstellten Liste von Kategorien, auch Codebuch genannt (siehe Tabelle 1). Den Medieninhalten wird während der Codierung jeweils eine Ausprägung der verschiedenen Kategorien oder Variablen als Code zugeordnet.
Der Nachteil der quantitativen Inhaltsanalyse ist, dass Texte nicht in der Tiefe untersucht werden können, sondern nur anhand einiger ausgewählter Merkmale in der Breite. Das schränkt die Flexibilität der Analyse in gewisser Weise ein. Allerdings liegt der Vorteil eindeutig in der Quantität – es ist möglich, viele Texte zu untersuchen und so ein stichhaltiges Ergebnis zu erhalten.
Tabelle 1: Wichtige Fachbegriffe zur quantitativen Inhaltsanalyse
Näheres zum Aufbau eines Codebuchs sowie zur Kategorienbildung lässt sich hier nachlesen.
Wo wird’s angewendet? – Anwendungsfelder
Die quantitative Inhaltsanalyse findet in verschiedenen Themenbereichen der Medieninhaltsforschung Anwendung. In der Journalismusforschung wird so beispielsweise die Themenagenda der Medien kontinuierlich analysiert und ausgewertet.
Häufig wird mittels dieser Methode auch die Komunikation politischer Akteure oder die politische Berichterstattung verschiedener Medien analysiert. Es wird beispielsweise untersucht, ob bestimmte Parteien oder Politiker bevorzugt genannt und wie sie dargestellt werden. Auch die politische Orientierung eines Mediums kann mittels quantitativer Inhaltsanalyse betrachtet werden.
Doch auch Fragen der Gewalt- und Minderheitenforschung kann die quantitative Inhaltsanalyse beantworten. Dabei wird zum Beispiel betrachtet, wie Medien in journalistischen und fiktionalen Beiträgen über Gewalt berichten oder wie bestimmte Minderheiten dargestellt werden.
Ein weiterer Themenbereich, der vor allem in der amerikanischen Medienforschung mit der quantitativen Inhaltsanalyse erforscht wird, ist die Gesundheits- und Risikokommunikation der Medien. Hierbei geht es darum, zu analysieren, wie über bestimmte Krankheiten berichtet wird oder wie unterschiedliche Gesundheitskampagnen dargestellt und beworben werden.
Tabelle 2: Anwendungsfelder der quantitativen Inhaltsanalyse
Anwendungsgebiete | Beispielfragestellungen |
Journalismusforschung | Analyse der Themenagenda der Medien |
Politische Kommunikation |
Wie berichten Medien über politische Themen, zeitliche Entwicklung? Wie kommunizieren Parteien mit ihren Wählerinnen und Wählern? Wie berichten Medien über politische Skandale? |
Gewaltfoschung |
Wie gewalthaltig ist die mediale Berichterstattung? Wie häufig werden Menschen in fiktionalen Fernsehprogrammen Opfer von Gewaltverbrechen? |
Minderheitenforschung | Darstellung von alten Menschen, Frauen und Ausländern in den Medien |
Gesundheits-/ RisikoKommunikation (v. a. USA) |
Berichterstattung über Krankheiten (AIDS, Krebs, Essstörungen etc.), Analyse von Gesundheitskampagnen (Anti-Raucher-, Anti-Drogen-Kampagnen etc.) |
Beispielfragestellung und mögliche Untersuchungsanlage
Forschungsfrage:
Wie wurden die US-Präsidenschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump im Monat vor der Wahl in den Medien dargestellt? Untersucht wird dafür stichprobenartig die Berichterstattung der deutschen Tageszeitungen über die TV-Duelle der Kandidaten.
An folgendem Artikel kann beispielhaft gezeigt werden, wie die ausgearbeiteten Kategorien des Codebuchs auf eine Analyseeinheit angewendet werden. Durch Klick auf die Ausprägungen des Kategoriensystems wird die entsprechende Textstelle farbig hinterlegt.
Beispiel: „Nie war ein TV-Duell unbarmherziger“ von Johannes Kuhn, vom 10. Oktober
2016 in der Süddeutschen Zeitung:
Nie war ein TV-Duell unbarmherziger
“Ungeheurer Hass im Herzen”: Das aggressive Duell der beiden Kandidaten zeigt, was für ein unwürdiges Schauspiel der Präsidentschaftswahlkampf 2016 ist.
Von Johannes Kuhn, New Orleans
Schon anderthalb Stunden bevor die Debatte beginnt, hat der ehemalige Reality-TV-Star Donald Trump sein monatelang vorbereitetes Werk vollendet: Der Präsidentschaftswahlkampf ist nun wirklich im Reality-TV angekommen. In einem Hotel in St. Louis versammelte der Republikaner vier Frauen, die Hillary Clintons Ehemann Bill sexuelle Übergriffe in den vergangenen Jahrzehnten vorwarfen.
Sie erklären kurz, dass sie Trump unterstützen – denn Bill Clinton sei ein schlimmer Mensch. Es ist nicht der letzte Versuch des Kandidaten an diesem Abend, die eigene Kontroverse um frauenfeindliche Äußerungen zu einem Clinton-Thema umzudeuten.
Später auf der Bühne fragen Moderator Anderson Cooper und eine Wählerin – immerhin ist das Town-Hall-Format eine Versammlung unentschlossener Wähler – sofort zu “Pussygate”. Trump verzichtet auf Entschuldigungen, spricht wieder vom “Umkleidekabinen-Gerede”. Hillary Clinton gibt sich nachdenklich, und sagt dann: Die Äußerungen hätten sie darin bestärkt, dass dieser Mann nicht für das Amt geeignet ist.
Trump reagiert auf solche kleine Provokationen, mit denen ihn seine Rivalin unmerklich aus der Reserve zu locken versucht: “Guckt euch Bill Clinton an – das ist viel schlimmer”, sagt der 70-Jährige. “Bei mir waren es Worte, er hat gehandelt.” Er wirft Hillary vor, als Anwältin einmal einen Pädophilen verteidigt zu haben und die Opfer ihres Ehemanns noch zum Schweigen gebracht zu haben.
Was unzusammenhängend und impulsiv klingt, ist die Botschaft an die rechte Basis seiner Anhängerschaft, die Clinton schlicht hasst. Die ehemalige Außenministerin reagiert gelassen, versucht ihre Botschaft vom toleranten Amerika unterzubringen und zitiert Michelle Obama: “Wenn ihr Niveau nach unten geht, geht unseres hoch.”
Ein unwürdiges Schauspiel
Trump dagegen unterbricht sie immer wieder, hält ihr die E-Mail-Affäre vor, macht sogar eine Ankündigung: “Wenn ich Präsident werde, werde ich den Justizminister anweisen, einen Sonderermittler einzusetzen.” Alles, was Trump gesagt habe, sei eine Lüge, antwortet Clinton. “Es ist gut, dass jemand mit diesem Temperament keine Verantwortung im Land hat”, sagt sie. Trump kontert: “Aber du wärst ja im Gefängnis.”
Zu diesem Zeitpunkt ist gerade einmal eine halbe Stunde vorbei, es ist der Tiefpunkt der TV-Debatte, wahrscheinlich aller TV-Debatten überhaupt. Ein unwürdiges Schauspiel vor den Augen einer tief demokratischen Nation, die nach 240 Jahren einer Aufführung beiwohnt, wie sie eine Bananenrepublik nicht peinlicher hinkriegen könnte.
Immerhin wird es danach etwas besser. Der “Er lügt, sie lügt”-Dialog zieht sich zwar durch den ganzen Abend, wird aber etwas ruhiger geführt.
Irritierend ist, wenn Trump sich während Clintons Redezeit manchmal hinter der ehemaligen First Lady aufbaut. Skandalös ist, wenn der Präsidentschaftskandidat erklärt, dass er “natürlich” wegen seiner aufgetauchten Abschreibungstricks von 1995 später keine Einkommensteuer nach Washington überwiesen habe (Schuld daran: Hillary Clinton, die als Senatorin nichts dagegen unternommen habe).
Clinton wiederum kann nicht anders, als Trump seine Unwahrheiten vorzuwerfen – hat aber selber Probleme, Aussagen wie “man braucht eine öffentliche und eine private Meinung” zu erklären.
Trump wirkt auf einige Fragen besser vorbereitet als sonst (nicht, dass die Erwartungen hoch waren), bei den meisten wechselt er einfach das Thema, bis ihn die ausgezeichnete Moderatorin Martha Raddatz an die Frage erinnert. Worauf er wieder beginnt, irgendetwas zu erzählen, was manchmal logisch, häufig aber undurchdacht klingt. “Ich kenne Russland nicht”, sagt er einmal zu den Hackerangriffen von dort, “also ich kenne Russland, weiß aber nicht, wie es funktioniert”. Wie immer ringt der TV-Star mit der Realität, wie immer gewinnt er und hinterlässt niedergewalzte Fakten.
“Enormer Hass in ihrem Herzen”
Der Republikaner profitiert einzig davon, dass Hillary Clinton an diesem Tag weder die menschlichen Botschaften aus der ersten Debatte unterbringt, noch Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit beseitigen kann. Trump wiederum muss sich fragen, wer ihn jenseits seiner Basis für kindische Übertreibungen wie die Behauptung, Clinton habe “enormen Hass in ihrem Herzen” wählen wird.
In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob Trump jenseits der Hardcore-Republikaner noch Wähler finden wird. Auch wenn die Debatte über Sachpolitik an diesem Abend quasi nicht stattfand, ist Hillary Clinton hier weiterhin ohne Gegenkandidaten. Doch das muss nicht das Kriterium sein, das am 8. November entscheidet.
Immerhin: Am Ende fragt ein Wähler, was die beiden aneinander schätzen. “Seine Kinder”, antwortet Clinton. “Sie ist eine Kämpferin und steht immer wieder auf”, sagt Trump über Clinton. Beide schütteln sich die Hand. Es ist das beinahe schockierend harmlose Ende eines unbarmherzigen Abends.
Früh (1998): Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. 4., überarbeitete Auflage. Konstanz: UVK.