Egal ob als Trainer oder in Verwaltungsaufgaben — Es gibt immer weniger Ehrenamtliche in Sportvereinen. Woran liegt das.
Er wurde von Arbeitskollegen ausgelacht, Sponsoren nahmen ihn nicht ernst und verdient hat er auch nie etwas. Tobias Krauss (39) war bis Anfang des Jahres Vorstandsvorsitzender des Fußballclubs Lindenberg (FCL). Er hat den Aufstieg in die Bezirksliga, aber auch den Wiederabstieg im darauffolgenden Jahr miterlebt. Doch jetzt war für ihn nach zehn Jahren endgültig Schluss. „Ich bin seit fast 30 Jahren im Verein und seit über zehn Jahren ehrenamtlich in verschiedensten Ämtern. Jetzt brauch ich mal ein paar Jahre Ruhe“, sagt er.
Dass es zu viel ist, hatte er letzten Sommer gemerkt, als seine Tochter zu ihm sagte: „Papa, ich kenn dich nur als Vorstand vom FCL.“ Ein Satz, der Krauss zeigte, dass er sich in Zukunft mehr um die Familie und weniger um Dinge wie Finanzen, Mitgliedsanträge und Sponsoren kümmern will. „Als Vorstand hast du die gleichen Aufgaben wie ein Geschäftsführer, nur mit dem Unterschied, dass du nicht bezahlt wirst.“ Auch der Respekt und die Anerkennung sei nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren. „Früher stand der Vorstandvorsitzende auf einer Stufe mit dem Bürgermeister. Heut lachen die Leute nur noch darüber, dass man so ein Amt überhaupt macht.“
Als Nachfolger von Tobias Krauss hat Johannes Dotschkail (33) den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernommen. Mit dem großen Ziel: Jugendförderung. Dafür sucht er seit einem halben Jahr nach einem geeigneten Trainer für die A‑Jugend, also der letzten Stufe vor dem Herrenbereich — Bis jetzt vergeblich. „Es ist echt schwierig, jemanden mit Vorerfahrung zu finden, der das Ganze dann auch noch ehrenamtlich macht“, sagt er. Das Problem, Trainer zu finden und die guten zu halten, zieht sich aber durch die gesamte Jugend. Mit der Konsequenz, dass der FC Lindenberg mit seiner A‑Jugend nächstes Jahr wahrscheinlich mit einer anderen Mannschaft eine Spielgemeinschaft gründen, oder aufgelöst werden muss.
Damit geht es dem FCL wie vielen anderen Vereinen auch. Es gibt immer weniger Ehrenamtliche in den Sportvereinen. Das gilt ebenfalls für die drei anderen Sportvereine in Lindenberg. Sowohl der Tennisclub, der Turnverein und der Turnerspielmannszug haben alle ähnlichen Probleme wie der FCL.
Deshalb gibt es auch immer öfter Fusionen oder gar Auflösungen. Aber nicht nur weil bei vielen Vereinen auch Mitglieder fehlen, sondern vor allem weil die Ehrenamtlichen an allen Ecken und Enden ausbleiben. „Die Lage wird immer kritischer“, sagt Peter Schubert von der Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ). Und das, obwohl gerade der Sport noch zu den positiven Beispielen gehört. „Ehrenamtliche in den Feldern Kultur, Bildung oder auch bei der Feuerwehr sind noch schwerer zu finden.“ Das liege vor allem daran, dass es Sport und Musik schon seit Jahrzehnten in jedem Dorf gebe. „Deshalb sehen wir auch hier die wenigsten Probleme.“ Trotzdem ist die Lage angespannt und wird auch nicht besser. Besonders problematisch sei das für die Gesellschaft, denn wie wichtig Sportvereine überhaupt sind, sei vielen nicht klar. „Da ist es egal, ob du im Gymnasium oder auf der Mittelschule bist, ob du Christ oder Muslim bist.“ Beim Sport seien alle gleich.
Während er die Anweisungen für das Spiel erklärte, waren die Spieler an den Handys. Keiner kam mehr ins Training und wenn doch, dann nur um die Bälle durch die Gegend zu bolzen. Über knapp 13 Jahre war Elvis Telesklav Trainer beim FC Lindenberg. 13 Jahre lang begleitete er seinen Sohn von der F‑Jugend, also den fast jüngsten Kickern bis hin zur A‑Jugend. Jetzt war für den 43-jährigen aber Schluss. Und das vor allem weil die Unterstützung vom Verein fehlte. Im letzten Jahr übernahm Telesklav nämlich nicht nur die A- sondern auch die B‑Jugend. Heißt: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag Training leiten. Samstag und Sonntag am Spielfeldrand stehen. Daneben noch eine Familie und einen Job. „Ich habe manche Spieler öfter gesehen als meine Frau“, sagt er. Und der Verein? Konnte ihm niemanden zur Hilfe stellen. Dabei hatte ihm das Traineramt immer Spaß gemacht, betont Telesklav. „Ich habe die Jungs echt lang mitbegleitet. Du siehst sie aufwachsen, das baut einfach eine Bindung auf.“ Aber sich jede Woche mit 20 Jugendlichen rumzuschlagen, das wurde auf Dauer zu nervenzerreißend. „Ich hatte keine Pause mehr. Mein Leben bestand nur noch aus Fußball und Arbeiten.“ Stattdessen nutzt er seine Freizeit jetzt für Fahrradtouren, Spaziergänge und Zeit mit der Familie und dem Hund.
Neue Hobbys entdecken oder die Freizeit für Familie und Haus nutzen wollen: Das sind typische Gründe, warum es immer weniger Ehrenamtliche gibt. Auch Corona hat dabei einen Einfluss gehabt. „Viele haben natürlich gemerkt: Hoppla, es gibt auch was anderes als mein Ehrenamt und das macht auch richtig Spaß“, sagt Peter Schubert von der ZiviZ. Weitere Gründe seien, dass die Menschen immer öfter umziehen und so keine langfristige Bindung zum Verein eingehen. Und es gebe eine Veränderung der Gesellschaft, die immer weniger Interesse daran hat, Verantwortung zu übernehmen.
Das kann auch Dotschkail bestätigen. „Verantwortung für etwas Langfristiges zu übernehmen, das war früher gar kein Thema“ sagt der Vorstandvorsitzende des FCL. Für einmalige Aufgaben wie das Grillen bei Festen gebe es immer noch genug Freiwillige, „aber wenn es dann mal über das eine Mal hinausgeht, hat jeder immer eine Ausrede parat.“ Was für den FCL erschwerend hinzukommt, sind die vielen Angebote, die es in der Stadt im Vergleich zum Dorf gibt. „Wenn es nur Musik oder Sport gibt, gehst du zwangsläufig da hin.“ Bei den vielen Angeboten, die es in einer Stadt wie Lindenberg mittlerweile gibt, nehmen sich die Vereine die Mitglieder selbst weg.
Über elf Jahre war Kerstin Hörrauf eine der Ehrenamtlichen, die man als Frau für alles bezeichnet. Sie kümmerte sich beim FCL um die Homepage, war stellvertretende Jugendleiterin und sprang auch als Trainerin ein, wenn Not am Mann war. Solange, bis ihr Mann 2019 vom damaligen Vorstand aus dem Verein „geekelt“ wurde und damit auch ihre Zeit erstmal vorbei war. „Ich war dann lang nicht mehr auf dem Sportplatz, das Tischtuch war zerschnitten.“ Aber als sie sich dann vor knapp einem Jahr erstmals wieder auf den Sportplatz wagte, wurde sie von vielen bekannten Gesichtern freundlichst empfangen. „Das sind ja alles lang meine Freunde gewesen und mit denen habe ich mich auch immer gut verstanden.“ Ein Ehrenamt wieder zu übernehmen, schien damals aber noch undenkbar. Bis vor wenigen Wochen der Anruf kam. „Der Dotschkail hat mich angerufen und gefragt, ob ich wieder was machen würde“, sagt die 59-jährige. Eine Rückkehr wird es aber erstmal nicht geben. Und wenn doch, dann nicht mehr so viel wie früher. „Man hat gelernt, dass es auch ein Leben außerhalb vom Fußball gibt.“ Radeln, Wandern, Baden – das sind nur ein paar der Hobbys denen Hörrauf mittlerweile nachgeht und die sie auch nicht mehr aufgeben will.
„Eine Vorstandschaft ist wie eine Fußballmannschaft, da müssen alle zusammenarbeiten, sonst kommt nix bei raus“, sagt Dotschkail. Dass es zu Reibungspunkten kommt, sei klar, aber derart ausarten, dass Ehrenamtliche keine Lust mehr auf das Amt haben, dürfe es nie. Denn Ehrenamtliche sind rar gesät und die Wenigen, die man noch habe, dürfe man nicht vergraulen. Insgesamt fehlen aber für die Verwaltungsaufgaben nicht wirklich viele Ehrenamtliche. „Da sieht es jetzt aktuell ganz gut aus“, sagt Dotschkail. Was fehlt sind die Trainer.
Dabei ist Bayern, was die Ehrenamtlichen angeht, im bundesweiten Vergleich sogar noch vorne mit dabei. „Wir sind Top-Drei in Deutschland“, sagt Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Sportverbandes. Gerade in den Vorstandspositionen bleiben die Menschen durchschnittlich länger. Trotzdem sieht auch er die negative Entwicklung. „Für einmalige Sachen oder Großereignisse wie die EM ist die Bereitschaft immer noch sehr groß, aber wenn es um etwas Langfristiges geht, schrecken die meisten zurück.“ Aber was kann man als Verein tun? „Die Erwartungshaltung muss sinken“, sagt Ammon. Die Vereine müssten finanzielle Anreize schaffen und die Anerkennung steigern. Entschädigungen, Erleichterungen oder höhere Pauschalen seien vorstellbar. Gerade auch den Jungen muss eine Perspektive geboten werden. „Es sind meistens eingefahrene Strukturen im Verein, aber man muss offen für Neues sein.“ Noch gebe es genug Junge die auch Lust hätten anzupacken. „Aber oft bestimmen Alte Herren den Großteil, wer neu dazukommt muss sich erstmal beweisen.“
Und wie sieht das beim FC Lindenberg aus? Gerade beim Thema Trainersuche plant der Verein für nächstes Jahr einiges. Schulungen, Ausbildungen und Tankgutscheine, sollen erste Anreize sein. „Wir haben ja einige ehemalige Spieler, die Interesse hätten eine Trainerausbildung zu machen“, sagt Dotschkail. Deshalb will der FCL die Trainergrundausbildung des DFB nächstes Jahr in Lindenberg organisieren. Damit zumindest bei den Trainern in Zukunft keine Ehrenamtlichen fehlen.