Elektropuzzle

Drei Männer ste­hen um den Arbeitstisch und schau­en ange­strengt auf das Gerät als wäre es ein schwer zu lösen­des Puzzle oder ein Sudoku. Nur, dass die­ses Rätsel hier eigent­lich Bartstoppeln besei­ti­gen kann. Ein älte­rer Mann hat sei­nen kaput­ten Rasierapparat mit­ge­bracht, die­ser ist schon fast antik. „Dass der über­haupt noch funk­tio­niert hat, ist ein Wunder“, sagt Peter Stumm als er sei­nem Kollegen Herbert Schnattinger über die Schulter schaut. Der hat­te den Rasierer ange­nom­men und erst­mal auf­ge­schraubt.

Dem Inneren des Rasierers sieht man an, dass das Gerät schon ziem­lich alt ist, es müss­te mal im Inneren gerei­nigt wer­den. Aber was ist jetzt kaputt?

Das her­aus­zu­fin­den und den Fehler mög­lichst zu behe­ben, ist Aufgabe der drei Männer, die sich um den Tisch ver­sam­melt haben. Ihr Gast schaut inter­es­siert zu. Herbert Schnattinger, Peter Stumm und Dieter Lehle arbei­ten in der Reparaturecke des Umweltvereins „WechselWelten“. Ihnen geht es vor allem um Nachhaltigkeit: Kaputte Elektrogeräte zu repa­rie­ren statt sie weg­zu­wer­fen, das schont Ressourcen. Außerdem möch­te Schnattinger „einen Gesinnungsbeitrag leis­ten“, sagt er, „in der Gesellschaft wird viel zu viel weg­ge­wor­fen.“ Diese Wegwerfmentalität ist etwas, was sie alle stört. Viele Geräte kön­ne man gut wie­der repa­rie­ren. Dass nicht jeder das Wissen oder Talent dazu hat, ist ihnen klar. Deshalb bie­ten sie hier ehren­amt­lich ihre Hilfe an. Jede und jeder kann mit kaput­ten Elektrogeräten vor­bei­kom­men und das Team der Reparaturecke ver­sucht, sie wie­der funk­ti­ons­tüch­tig zu machen. Dabei heißt es viel aus­pro­bie­ren.

Erfahre hier mehr über Herbert Schnattinger:

Routiniert star­ten sie mit dem Überprüfen des Akkus des Rasierapparats. Herbert Schnattinger legt die zwei Messstifte des Multimeters an. Das ist ein gel­bes Gerät; über zwei Kabel sind ein roter und ein schwar­zer Messstifte mit ihm ver­bun­den. Damit misst Schnattinger die elek­tri­sche Spannung: 11 Millivolt. „Dann ist der Akku tot“, fol­gert Peter Stumm. Er und Dieter Lehle ste­hen neben Schnattinger am Tisch und schau­en kon­zen­triert auf den Rasierapparat. Auch der Besitzer des Geräts, der auf dem Stuhl links neben Schnattinger sitzt, schaut gebannt zu. “Für mich ist das eine ganz neue Welt”, sagt er. Der ers­te Verdächtige ist das Netzteil. Auch hier über­prüft Schnattinger die Spannung: 3,6 Volt. Das passt, trotz­dem bekommt der Akku kei­nen Strom. Sie ver­su­chen den Akku von außen zu laden, das führt zu einem Kurzschluss.

Die Männer sind voll in ihrem Element, für sie ist der Rasierapparat ein span­nen­des Rätsel, das es zu lösen gilt. Um den Tisch ver­sam­melt, dis­ku­tie­ren sie, was das Problem sein könn­te. Ihr Kunde füllt wäh­rend­des­sen eine Unbedenklichkeitserklärung aus. Die Männer machen das alles als Hobby. Dieter Lehle hat zwar Elektrotechnik stu­diert, aber prak­tisch mit Elektrogeräten gear­bei­tet hat kei­ner von ihnen beruf­lich. Sie sei­en ein­fach Leute mit ver­schie­de­nen Talenten und unter­schied­li­chem Erfahrungsschatz, die ger­ne an Elektrogeräten bas­teln, erklärt Schnattinger. Durch die Reparaturecke lern­ten sie immer wei­ter dazu aber manch­mal kön­nen sie das Gerät nicht repa­rie­ren. Für die­sen Fall müs­sen die Kunden eine Unbedenklichkeitserklärung unter­schrei­ben. Diese hef­tet Norbert Polley — der vier­te Ehrenamtliche in der Reparaturecke — gewis­sen­haft ab. Er trägt einen dun­kel­grü­nen Pullover unter dem der Kragen eines blau-rot karier­ten Hemds her­aus­schaut. Polley legt einen grau­en Ordner auf den Tisch und schlägt ihn auf. „Ich habe frü­her im öffent­li­chen Dienst gear­bei­tet, da ist die Aufgabe wohl prä­de­sti­niert für mich“, sagt er mit einem leich­ten Lächeln, wäh­rend er sich über den bereits gut gefüll­ten Ordner beugt.

Ressourcenschutz und nach­hal­ti­ger, öko­lo­gi­scher Konsum — vor allem dar­um geht es der Genossenschaft „WechselWelten“, zu der die Reparaturecke gehört. Dafür wol­len sie die Möglichkeiten nut­zen, die sie lokal als Bürgerinnen und Bürger haben. Wichtig ist dabei das Konzept “Hilfe zur Selbsthilfe”. Ein Beispiel dafür ist die Reparaturecke. Den vier Männern hier ist wich­tig, ihre Kunden in den Reparaturprozess mit­zu­neh­men.

Sie repa­rie­ren die kaput­ten Geräte nicht still im Nebenraum – der Kunde sitzt mit am Tisch und bekommt erklärt, was sie gera­de tun und, was das Ergebnis ist. War der Akku kaputt? Ein Kontakt ver­bo­gen? Etwas ver­dreckt? Ihnen ist wich­tig, dass ihre Kunden das am Ende wis­sen.

Du möch­test gleich mehr wis­sen über das Team der Reparaturecke? Weiter unten im Text stel­len sich Herbert Schnattinger und Dieter Lehle vor. Springe hier direkt zu der Stelle.

Reparieren statt Wegschmeißen

Die United Nations ver­zeich­nen seit 2014 einen per­ma­nen­ten Anstieg des welt­weit auf­kom­men­den Elektromülls. Die Prognosen sagen, dass die Menge wei­ter zuneh­men wird.

In Deutschland fal­len jedes Jahr ton­nen­wei­se Elektromüll an – weil die Geräte nicht mehr benö­tigt wer­den, alt sind, kaputt sind oder gar nicht ver­sucht wur­de, sie zu repa­rie­ren. Im Jahr 2021 wur­den in Deutschland pro Einwohner 12,1 kg Elektroaltgeräte gesam­melt. Das hat Eurostat erho­ben. Doch das ent­spricht nur einem Teil, des ins­ge­samt anfal­len­den Elektromülls. Denn wenig davon wird rich­tig ent­sorgt. 2020 wur­den nach Angaben des Nabu nur 44% der Elektroaltgeräte getrennt gesam­melt. Die rest­li­chen lan­den bei­spiels­wei­se im Hausmüll oder wer­den ille­gal in Wäldern und Parks abge­la­den.

Die United Nations pro­gnos­ti­ziert, dass wir im Jahr 2030 welt­weit pro Kopf 9 Kilogramm Elektromüll haben wer­den.

„Durchschnittlich wer­den in Deutschland pro Jahr mehr als eine Million Tonnen Elektroaltgeräte nicht erfasst. Das ent­spricht etwa dem Gewicht von 100 Eifeltürmen“, infor­miert der Nabu. Dabei ist die pas­sen­de Entsorgung von kaput­ten Elektrogeräten für Privatpersonen gar nicht so schwie­rig. Man kann sie ein­fach kos­ten­los bei einem Wertstoffhof abge­ben. Außerdem sind vie­le Händler ver­pflich­tet, kaput­te Geräte kos­ten­los zurück­zu­neh­men und dann an ent­spre­chen­de Recycling-Stellen zu geben. Mehr dazu erfährst du hier. Außerdem gibt es ein “Recht auf Reparatur”, das das EU-Parlament im November 2023 beschlos­sen hat.

Es ist wich­tig, die alten Geräte ent­spre­chend zu ent­sor­gen, damit kei­ne gif­ti­gen Stoffe aus­tre­ten und die ent­hal­te­nen Materialien recy­celt wer­den kön­nen. Dabei geht es vor allem um „Massenmetalle wie Eisen, Stahl, Kupfer, Aluminium und Edelmetalle, die leicht rück­ge­winn­bar sind”, erklärt der Nabu. Es sind noch ande­re wert­vol­le Stoffe ent­hal­ten, die aller­dings häu­fig nicht recy­celt wer­den: „Seltene Erden, Tantal, Gallium und Indium haben glo­ba­le Recyclingraten von unter einem Prozent. Sie kom­men bei­spiels­wei­se in Smartphones nur in gerin­gen Mengen vor und wer­den kom­plex ver­baut, was ein Recycling auf­wän­dig macht.“ Deshalb ist die bes­te Option, um Ressourcen zu scho­nen und die Umwelt zu schüt­zen, den anfal­len­den Müll zu redu­zie­ren, indem die Geräte lang­le­big gebaut wer­den und indem, man kaput­te Geräte repa­riert. Daran arbei­tet auch das Team der Reparaturecke.

Dieter Lehle und Peter Stumm neh­men den Rasierer mit zur hel­len Schreibtischlampe, um bes­ser zu sehen. Es ist dun­kel gewor­den drau­ßen und der Raum ist nicht gut beleuch­tet. Die schwar­ze Schreibtischlampe schafft einen hel­len Lichtkegel, unter dem man die klei­nen Bauteile des Geräts bes­ser erken­nen kann. Der nächs­te Verdächtige ist die Leiterplatte. Das ist eine klei­ne grü­ne Platte mit diver­sen metal­le­nen Verbindungen. Die Leiterplatte ver­bin­det ver­schie­de­ne elek­tro­ni­sche Bauteile des Geräts mit­ein­an­der. Ist hier bei­spiels­wei­se durch einen Kratzer eine Verbindung gekappt, funk­tio­niert das Gerät nicht mehr rich­tig.

Kameraeinsatz

Peter Stumm macht mit sei­nem Handy ein Foto von der Leiterplatte. So kann er auf dem Bild her­an­zoo­men und die klei­nen Verbindungen auf der Platte bes­ser erken­nen.

Schau genau

Jetzt heißt es genau hin­schau­en: Sind alle Verbindungen intakt? Könnte der Fehler hier lie­gen?

Ein zwei­ter Kunde trifft ein. Er hat den elek­tri­schen Fensterwischer sei­ner Frau mit­ge­bracht. Er ist zum ers­ten Mal hier und über­rascht, dass die Reparatur hier kos­ten­los ist. Das Team bit­tet nur um eine klei­ne Spende am Ende. Neu gekauft wird hier fast nichts. All die Geräte, die man auf dem Tisch ver­teilt sieht, haben Ehrenamtliche mit­ge­bracht: Die Schraubenzieher, das gel­be Multimeter, den hell­blau­en Lötkolben, die Schrauben, Ersatzbatterien und alles ande­re. Manchmal blei­ben Dinge übrig, zum Beispiel ist das Gerät drum her­um kaputt aber der Akku noch nutz­bar. Wenn das für den Besitzer oder die Besitzerin in Ordnung ist, behält das Team der Reparaturecke soet­was ger­ne als Ersatzteil. Einmal im Monat gibt es das gro­ße Reparatur-Café bei dem Peter Stumm auch sehr aktiv ist. Das ist eine grö­ße­re Version der Reparaturecke mit vie­len Ehrenamtlichen. Dort bekommt man bei­spiels­wei­se Hilfe sein Fahrrad zu repa­rie­ren oder ein aus­ge­ris­se­nes Knopfloch zu fli­cken. Die Werkzeuge der Ehrenamtlichen aus dem Reparatur-Café dür­fen die vier Männer auch in der Reparatur-Ecke ver­wen­den.

Währenddessen haben Lehle und Stumm den Defekt am Rasierapparat gefun­den. Es liegt tat­säch­lich an der Leiterplatte. Sie ver­hin­dert das Laden des Akkus. „Neu bekom­men wir ihn nicht hin aber funk­tio­nie­ren tut er wie­der“, sagt Stumm als er den Rasierapparat an sei­nen Besitzer zurück gibt. Der sieht über­rascht aus, dass die drei sei­nen alten Rasierer tat­säch­lich wie­der zum Laufen bekom­men haben, lächelt aber glück­lich. Das Gerät war ihm wich­tig.

Finde her­aus, wie Dieter Lehle (rechts) zur Reparaturecke gekom­men ist.

Erfahre, was Peter Stumm (links) mit sei­ner Arbeit hier errei­chen möch­te.

Herbert Schnattinger erzählt, dass er neu­lich den Staubsauger sei­nes Sohnes repa­riert hat. „Ich repa­rie­re inzwi­schen Sachen, die ich mir frü­her nicht zuge­traut hät­te.“ Die Erfahrungen in der Reparaturecke hel­fen ihm, immer kom­ple­xe­re Geräte zu ver­ste­hen und zu repa­rie­ren. Seit er den Staubsauger zurück­ge­ge­ben hat, habe er nichts mehr von sei­nem Sohn gehört. „Also neh­me ich an, dass er funk­tio­niert.“ Er lacht.

Der zweite Fall

Reparaturauftrag Fensterwischer

Nun machen sich die Männer an den Fensterwischer. Auch die­ser wird auf­ge­schraubt und Norbert Polley misst mit dem gel­ben Multimeter die elek­tri­sche Spannung. Die passt nicht. Jetzt geht es erst­mal dar­um zu ver­ste­hen, wie das Gerät funk­tio­niert. Sonst kön­nen sie nicht her­aus­fin­den, wo der Defekt liegt. Aber das ist auch der Part, der Peter Stumm beson­ders fas­zi­niert. „Da hat sich jemand was über­legt und jetzt nach­zu­voll­zie­hen, wie der das gemacht hat, ist total span­nend.“ Indem Peter Stumm immer mehr Geräte sieht und ver­steht, wie die­se funk­tio­nie­ren, sam­melt er Wissen für kom­men­de Reparaturen. Mit mehr Erfahrung hat man schnel­ler Ideen, wo das Problem lie­gen könn­te.

Jetzt kommt ein Labornetzteil zum Einsatz. Das ist ein grau­er Kasten, mit dem man ein Gerät von außen mit Strom ver­sor­gen kann. So wol­len sie her­aus­fin­den, ob das Problem viel­leicht am Akku liegt. „Normal, wenn jetzt der Akku ange­schlos­sen ist und ich den Schalter betä­ti­ge, müss­te er irgend­wo Bzzz machen. Das macht er nicht“, stellt Stumm fest.

Einiges rum­pro­bie­ren spä­ter muss das Team der Reparaturecke ihrem Kunden mit­tei­len, dass sie sei­nen Fensterwischer lei­der nicht repa­rie­ren kön­nen. „Da ist die Ladeelektronik kaputt.“ Es ist ein­fach sehr bil­lig ver­ar­bei­tet, nicht zum Reparieren aus­ge­legt. Dieses Problem haben sie öfter: Viele Hersteller kon­zi­pie­ren ihre Geräte so, dass man sie qua­si gar nicht oder nur sehr schwer repa­rie­ren kann. Für die Hersteller sei es bes­ser, wenn die Kunden ein ganz neu­es Gerät kau­fen, das brin­ge mehr Geld. Dieser Umstand ärgert das Team der Reparaturecke. Es för­de­re eine Wegwerfkultur.

Tatsächlich wirft man mit sei­nen alten Elektrogeräten häu­fig wert­vol­le Rohstoffe weg. Die United Nations University hat 2020 den poten­ti­el­len Wert der in Elektroschrott ent­hal­te­nen Rohstoffen erho­ben. Die Zahlen bezie­hen sich auf das Jahr 2019. Demnach ist im welt­weit anfal­len­den Elektroschrott ver­mut­lich Eisen im Wert von 24,6 Milliarden US-Dollar ent­hal­ten.

Zu den wert­vol­len Rohstoffen im Elektroschrott gehö­ren auch Kupfer, Gold, Aluminium, Palladium und Silber. In unse­rem Elektromüll, schät­zen die Autoren des Reports, fin­det sich Silber im Wert von 600 Millionen Dollar. Das sind vie­le Rohstoffe, die oft nicht recy­celt wer­den. Experten for­dern, dass Geräte deut­lich leich­ter zu repa­rie­ren sein müs­sen. Man soll­te die Einzelteile her­aus­neh­men kön­nen. Beispielsweise bei Smartphones ist das häu­fig nicht der Fall. Da sind oft Bauteile mit­ein­an­der ver­klebt und kön­nen somit nur schwer aus­ge­tauscht wer­den. Dann muss man unter Umständen ein kom­plett neu­es Gerät kau­fen, obwohl eigent­lich nur ein ein­zel­nes Teil aus­ge­tauscht wer­den müss­te. Noch bes­ser wäre es, wenn man sein Gerät durch Austausch von Einzelteilen auch auf den neus­ten Stand brin­gen könn­te, um nicht für jede neue Funktion ein neu­es Gerät kau­fen zu müs­sen.

Auch in der Reparaturecke haben sie schon mit diver­sen Geräten zu tun gehabt, die man nicht selbst repa­rie­ren kön­nen soll. Herbert Schnattinger erzählt von einer Kaffeemaschine, die mal zu ihnen in die Reparaturecke gebracht wur­de. Kaffeemaschinen und Küchengeräte bekom­men sie öfter. Aber die­se spe­zi­el­le Maschine hat­te ova­le Schrauben. “Da passt dann natür­lich kein nor­ma­ler Schraubendreher”, sagt Schnattinger. Das ärgert ihn. So ver­hin­dert der Hersteller bewusst, dass die Leute ihre Kaffeemaschinen selbst repa­rie­ren. Später hat er her­aus­ge­fun­den, dass der Hersteller die­se ova­len Schrauben auch bei ande­ren Modellen ver­baut.

Dem Team der Reparaturecke liegt Nachhaltigkeit am Herzen. Deshalb fah­ren Herbert Schnattinger, Peter Stumm und Dieter Lehle auch immer mit dem Fahrrad zur Reparaturecke. Auch wenn es reg­net, so wie heu­te. Mit der rich­ti­gen Kleidung sei das kein Problem. Also was­ser­dich­te Jacke an und Regenhose über die Hose zie­hen, Helm auf­set­zen und los geht es mit dem Fahrrad nach Hause.