Immer wieder geht die Tür auf. Jemand neues stürmt in die Sakris­tei und bringt die kalte Mor­gen­luft in den dürftig beheizten Neben­raum der Kirche. Mal ist es der Organ­ist, der die Rei­hen­folge der Lieder klären will , die Lek­torin, die sich nach der zu lesenden Stelle erkundigt oder ein Min­is­trant, der ver­schlafen hat und nun zum geöffneten Schrank mit den Kut­ten hastet.

Während noch debat­tiert wird, wer welche Auf­gabe — Haupt, Neben oder Weihrauch — beim Gottes­di­en­stes übern­immt, hält ein­er der Min­is­tran­ten ein Stück Kohle über eine Kerzen­flamme. Kleine Funken sprühen aus dem in Puck-Form gepressten Klumpen. In kreisenden Bewe­gun­gen erhitzt der Mess­di­ener die Kohle, bis sie rot glüht. Anschließend legt er sie in den im Inneren mit Ruß bedeck­ten Weihrauchkessel. Dann bal­anciert er auf einem kleinen sil­ber­nen Löf­fel eine Por­tion bunter Harzkügelchen. Als der Weihrauch auf den heißen Brennstoff fällt, fängt es an zu qual­men. Der Neben­raum ist inner­halb von Sekun­den von einem, schw­eren rauchig-süßen Geruch erfüllt. Der ein oder andere muss sich das Hus­ten verkneifen.

Das Zin­gu­lum muss richtig geknotet wer­den.
Auch vor dem Gottes­di­enst gibt es für die Min­is­tran­ten einiges zu tun.
Die Kohle zum Glühen zu brin­gen ist gar nicht so ein­fach.

Die Mess­di­ener haben sich mit­tler­weile bezüglich der Auf­gaben­verteilung geeinigt. Der Pfar­rer ist zehn Minuten vor Beginn des Gottes­di­en­stes eingetrudelt. Und die Mes­ner­in hat die Leuchter entzün­det. Die sechs Min­is­tran­ten ste­hen schon aufgerei­ht vor der Tür zum Kirchen­schiff. Dem Beginn eines feier­lichen Gottes­di­en­stes ste­ht nichts mehr im Wege.

Zumin­d­est war das vor eini­gen Jahren noch der Fall. Heute sieht ein Son­ntags­gottes­di­enst in Bischof­s­reut etwas anders aus: Statt sechs Min­is­tran­ten, sind meis­tens nur zwei an guten Tagen drei vor Ort. Ein Mess­di­ener übern­immt die Auf­gaben die ursprünglich auf zwei bis sechs Per­so­n­en verteilt waren. Da nicht jed­er Min­is­trant bei allen Gottes­di­en­sten vor Ort sein kann, wer­den sie gle­ich­mäßig auf die Messen verteilt. Wenn aber ins­ge­samt nur acht, statt wie früher 20 Min­is­tran­ten, zur Ver­fü­gung ste­he, heißt das weniger Mess­di­ener pro Gottes­di­enst und mehr Ein­sätze für die Verbleiben­den. Der Pfar­rver­band Haid­müh­le, Bischof­s­reut, Philip­sreut ist nun soweit gegan­gen bei Gottes­di­en­stes unter der Woche keine Min­is­tran­ten mehr einzuset­zen.

Mari­na Ratschmann ken­nt die Sit­u­a­tion nur all zu gut: “Früher haben wir an nor­malen Son­nta­gen zu sechst oder zu acht min­istri­ert. Heute kann ich froh sein, wenn es zwei Leute sind, damit ich nicht alleine alles stem­men muss.” Trotz ihres Medi­zin­studi­ums hil­ft sie an den Woch­enen­den und in den Semes­ter­fe­rien als Mess­di­ener­in aus.

Der Min­is­tran­ten­man­gel im nieder­bay­erischen Pfar­rver­band Haid­müh­le, Bischof­s­reut und Phillip­sreut ist kein Einzelfall. Deutsch­landweit ist ein Rück­gang zu beobacht­en. Bei der let­zten Schätzung im Jahr 2017 waren 360 Tausend Jugendliche ehre­namtlich als Mess­di­ener tätig. Das sind 66 Tausend weniger als 2009.

Für Mari­na hat der Rück­gang mehrere Gründe: zum einen der zunehmend schlechter wer­dende Ruf der katholis­chen Kirche, zum anderen der man­gel­nde Rück­halt des Eltern­haus­es. Außer­dem gibt es in den ländlichen Regio­nen deut­lich weniger Kinder als in den Jahrzehn­ten zuvor.

“Es gab Son­ntage, da hat mich meine Mut­ter eine Vier­tel­stunde vor Beginn des Gottes­di­en­stes angerufen, damit ich komme, weil kein einziger Min­is­trant in der Kirche war”, erin­nert sich Mari­na. Nach dem Anruf düst sie von ihrem Wohnort in das fünf Minuten ent­fer­nte Haid­müh­le. Und tauscht den Schlafanzug gegen eine Kutte und den entspan­nen Mor­gen gegen die Son­ntagsmesse.

Diesen Spruch ken­nen Min­is­tran­ten nur allzu gut. Das knapp zwei Meter hohe Kreuz schaden­frei unter Türen und Tor­bö­gen hin­durch zu manövri­eren ist gar nicht so ein­fach. Die Königs­diszi­plin ist es aber, den Her­rgott beim Einzug auch noch ger­ade zu hal­ten. Meis­tens kippt das Kreuz auf Grund seines Gewichts nach vorne. Es ist also Vor­sicht geboten, damit dem Hei­land nicht übel wird.

Bei großen Feiern wie Ostern oder Wei­h­nacht­en ver­sam­meln sich alle Mess­di­ener der Pfar­rge­meinde und min­istri­eren gemein­sam. Mit sechs oder sieben Min­is­tran­ten gibt es einen feier­lichen zu Beginn der Messe einen Einzug vom Ein­gang des Kirchen­schiffs durch den Mit­tel­gang zwis­chen den Sitzrei­hen. Vorneweg geht der Kreuzträger, hin­ter ihm rei­hen sich die anderen Min­is­tran­ten, geord­net nach Auf­gaben­bere­ich, ein. Ganz hin­ten geht der Priester (siehe Auf­stel­lung rechts).

Früher war diese Art des Einzugs in allen Son­ntags­gottes­di­en­sten üblich. Bei weniger Min­is­tran­ten ziehen die Mess­di­ener von der Seite des Altar­raums ein. Das Kreuz bleibt meis­tens in der Abstel­lka­m­mer ste­hen.

Umso mehr freut sich Mari­na, wenn genug Leute für einen großen Einzug da sind: “Da passieren immer so viele lustige Dinge, vor allem mit dem Kreuz.” Nach genauerem Nach­fra­gen erzählt Mari­na mit einem Schmun­zeln auf dem Gesicht: “Naja, seit ein, zwei Jahren hängt der Jesus am Kreuz ein biss­chen schief. Das war ich beim Einzug. Als ich durch die Tür gehen wollte, habe ich mich nicht rechtzeit­ig geduckt.”

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Ein feier­lich­er Einzug durch das Kirchen­schiff ist eine Sel­tenheit (Quelle: pri­vate Auf­nahme Anna Grimbs).
Bei max­i­mal zwei Min­is­tran­ten pro Gottes­di­enst, zieht der Priester mit den Mess­di­enern von der Seite des Altar­raums in die Kirche ein.

Die Min­is­tran­ten nehmen auf ihren Stühlen Platz. Die Orgel ver­s­tummt. Der Priester ste­ht am Altar und begrüßt die Kirchenge­meinde. Es fol­gt…

… das Kyrie…

… der Lobge­sang…

… das Tages­ge­bet…

… und die Lesung…

…das heißt, ganz viel Nichts-Tun für die Min­is­tran­ten. Also genug Zeit, um ver­stohlen zu gäh­nen, die Leute im Kirchen­schiff zu beobacht­en und gedanken­ver­loren seinen Ein­satz zu vergessen.

Vor allem beim Evan­geli­um passiert es häu­figer, dass die Neben­min­is­tran­ten, die die Leuchter tra­gen oder die Weihrauch­min­is­tran­ten ihren Ein­satz ver­patzen. Der Priester ste­ht nach der Lesung auf, läuft in Rich­tung der abgestell­ten Leuchter und bleibt dort ste­hen. Doch wo bleiben die Min­is­tran­ten? — Sie sitzen noch immer auf ihren Plätzen und grü­beln über Gott und die Welt .

Es gibt eine Vielzahl von Wegen einen Min­is­tran­ten darauf hinzuweisen, dass er seinen Ein­satz ver­passt hat. Die einen sind unauf­fäl­lig und diskret, die anderen auf­fäl­lig aber dafür äußert kreativ und unter­halt­sam.

Die klas­sis­che Vari­ante ist, dass der Priester, die Arme zum Gebet erhebt und mit der einen Hand die Min­is­tran­ten zu sich winkt. Ein biss­chen erin­nert er dabei an einen Polizis­ten, der den Verkehr regelt. Ein weit­eres gängiges Szenario ist es, dass ein­er der Mess­di­ener den ver­patzten Ein­satz bemerkt. Dann ver­sucht er — mehr oder weniger im Flüster­ton und teil­weise unter­stützend mit Gefuch­tel — den anderen Min­is­tran­ten den Fehler mitzuteilen.

Beson­ders span­nend wird es, wenn die Kirchenbe­such­er, den Fehler bemerken und dann ver­suchen es den Min­is­tran­ten möglichst unauf­fäl­lig mitzuteilen. Laut Mari­na soll eine Gottes­di­en­st­be­sucherin während ein­er Messe ver­sucht haben ein­er Min­is­tran­tin wink­end zu sig­nal­isieren, dass sie den Ein­satz ver­passt hat. Anstatt aufzus­prin­gen und das Verse­hen zu berichti­gen habe die Min­is­tran­tin gelächelt und zurück gewunken.

Zu Beginn des Gottes­di­en­stes wer­den die Teelichter in den Leuchtern entzün­det.

Wenn aber alles glatt läuft und nie­mand seinen Ein­satz ver­passt, dann begleit­en die Neben- und Weihrauch­min­is­tran­ten den Priester zum Sprecher­pult. Dort beleucht­en die Kerzen der Neben­min­is­tran­ten eher spär­lich das Evan­geli­um, aus dem der Pfar­rer vor­ließt.

Die Leuchter haben aber auch eher einen sym­bol­is­chen Nutzen. Sie weisen auf ein Zitat von Jesus hin: “Ich bin das Licht der Welt“ . Der Leuch­ter­di­enst versinnbildlicht sowohl das Wort Gottes, das beim Evan­geli­um verkün­det wird, als auch die Gegen­wart Jesu in Brot und Wein, die als Licht im christlichen Leben gel­ten.

Auch für Mari­na bedeutet ein christlich­es Leben sehr viel. Sie unter­stützt zwar nicht alle Entschei­dun­gen der katholis­chen Kirche, den­noch ist sie tief gläu­big. Das ist nicht für alle Mess­di­ener der Fall. Viele min­istri­eren nicht aus Überzeu­gung, son­dern auf Grund von den Erwartun­gen der katholis­chen Großel­tern. In den ländlich geprägten Regio­nen Nieder­bay­erns gehört es zum guten Ton zumin­d­est für ein, zwei Jahre zu min­istri­eren. Außer­dem dient die Gemein­schaft der Min­is­tran­ten — neben dem Sportvere­in und der frei­willi­gen Feuer­wehr — als Jugendtr­e­ff. Denn abseits des son­ntäglichen Gottes­di­en­stes, pla­nen die Min­is­tran­ten gemein­same Aktio­nen: sie fär­ben gemein­sam Eier, basteln oder back­en Plätzchen. Auch regelmäßige Aus­flüge zum Bowlen oder in die Therme ste­hen auf dem Pro­gramm. Vor eini­gen Jahren gab es sog­ar ein jährlich­es Min­is­tran­ten-Fußball­tunier, das von den umliegen­den Pfar­reien ver­anstal­tet wurde. Ein­er der Pfar­rer schmiss sich dafür als Maskottchen in ein Hot­dog-Kostüm, um seine Min­is anzufeuern.

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Zumin­d­est für Haupt- und Neben­min­is­tran­ten. Für den Weihrauch­min­is­tran­ten gibt es immer was zu tun — Schließlich muss der Kessel qual­men.

In der Sakris­tei begin­nen die Weihrauch­min­is­tran­ten zu quas­seln. Aber Achtung: Sie dür­fen ihren Ein­satz nicht ver­passen: das Ende der Predigt.

Für die Weihrauch­min­is­tran­ten gibt es immer etwas zu tun: Sobald das Faß aufhört zu qual­men, muss Weihrauch nachge­füllt wer­den. Bei län­geren Messen muss die Kohle aus­ge­tauscht wer­den. Außer­dem muss das Faß ständig hin und her geschwun­gen wer­den, damit die Glut nicht aus­ge­ht. Deshalb bleibt der Weihrauch­di­enst den älteren Min­is­tran­ten vor­be­hal­ten. Die jün­geren kön­nen es kaum erwarten, wenn sie an der Rei­he sind. Während der Priester den Weihrauch nicht benötigt, dür­fen die Min­is­tran­ten in die Sakris­tei, dem Neben­raum der Kirche gehen.

Aus der der Sakris­tei hört man es tuscheln, klir­ren und kich­ern. Hin und wieder kann man die Weihrauch­min­is­tran­ten bis in den Kirchen­raum hören. Dann wer­den sie von der Mes­ner­in ermah­nt. Die meis­ten reagieren ver­legen, schließlich nehmen sie ihre Auf­gabe eigentlich ernst.

Doch hin und wieder über­wiegt der jugendliche Leichtsinn. Mari­na unter­drückt bei der Erin­nerung ein Lachen: “Vor einem Gottes­di­enst war den Weihrauch­min­is­tran­ten ziem­lich lang­weilig, also haben sie entsch­ieden, eine Min­is­tran­ten­band zu grün­den. Das Weihrauch­schif­fchen — den Behäl­ter für den Weihrauch — haben sie als Ras­sel ver­wen­det. Das war ein dum­mer Fehler. Sie haben den Deck­el des Behäl­ters nicht richtig zu gemacht. Beim Ras­seln ging er auf und der Weihrauch war in dem gesamten Raum verteilt.”

Aber es gibt noch eine weit­ere Geschichte bei der sich der Pfar­rer als Torschützenkönig ent­pup­pt hat: ” Der Min­is­trant mit dem Kessel hat sich beim Verneigen zu weit nach vorne gelehnt, dabei ist die Kohle auf den Tep­pich gefall­en. Ohne lange zu über­legen hat der Pfar­rer die Kohle durch die offene Tür in den Neben­raum gekickt.”

Bühne frei für die Haupt­min­is­tran­ten: Während des gesamten Gottes­di­en­stes mussten sie still sitzen oder still ste­hen. Nun sind sie an der Rei­he. Ihre Auf­gabe ist es bei der Gaben­bere­itung den Kelch, das Gefäß mit den Hostien und Wass­er und Wein zum Altar zu brin­gen. Auch bei der sym­bol­is­che Hand­waschung des Priesters assistieren sie. Ihr Job ist sehr begehrt.

Der Kelch und die Hostien­schale sind eines der wertvoll­sten Gegen­stände in der Kirchenausstat­tung. Sie sym­bol­isieren den Kern des katholisch-christlichen Glaubens: das Fleisch — die Hostie — und das Blut — der Wein — Christi. Die Min­is­tran­ten müssen mit den Schmuck­stück­en sorgsam umge­hen.

Hier erfährst du mehr über die Kostbarkeiten der Kirche

Auf Grund des Min­is­tran­ten­man­gels, übernehmen zwei Per­so­n­en die Auf­gaben von vier Mess­di­ener. Meis­tens sind die Auf­gaben der Neben- und der Haupt­min­is­tran­ten in einem Auf­gaben­bere­ich kom­biniert.

Die Min­is­tran­ten brin­gen Kelch und Schale zum Altar.
Auch Wass­er und Wein gießen die Min­is­tran­ten in den Kelch.
Bei der Hand­waschung assistieren die Min­is­tran­ten dem Priester.

Die Haupt­min­is­tran­ten räu­men den Kelch und die Messkän­nchen zurück an ihren Platz. Danach spricht der Pfar­rer einige abschließende Worte mit dem Schlusssatz: “Gehet hin in Frieden” Das ist das Stich­wort für die Min­is­tran­ten: Sie gehen mit dem Priester zurück in den Neben­raum der Kirche, der Organ­ist spielt das let­zte Lied, die Besuch­er ver­lassen die Kirche. Im Neben­raum angekom­men, raunen die Mess­di­ener im Chor: “Deo Gra­cias”. Der Spruch besiegelt das Ende des Gottes­di­en­stes.


Mein Name ist Anna Grimbs und ich bin 19 Jahre alt. Ich studiere Jour­nal­is­tik an der katholis­chen Uni­ver­sität Eich­stätt-Ingol­stadt. Bei meinen Pro­jek­ten ist es mir wichtig, Men­schen eine Stimme zu geben und span­nende Geschicht­en einz­u­fan­gen.


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